Interview mit Büchereileiterin Petra Herzig
„Die Bibliothek wird dritter Ort“
Stadtbücherei-Leiterin Petra Herzig hat eine Vision für die Zukunft – und die könnte auch am Zob spielen
Schleswig Die Stadtbücherei ist in die Jahre gekommen. 2018 hat sie jedoch eine neue Leitung bekommen, jetzt geht es um ein neues Gebäude. Die neue Leiterin Petra Herzig schaut weit über den Tellerrand hinaus und hat viele Ideen für die Bibliothek der Zukunft. Unser Redaktionsmitglied Joachim Pohl hat sie in der Bücherei besucht.
Frau Herzig, welches Buch lesen Sie derzeit?
Ich lese gerade ein Kinderbuch von Salah Naoura, den Nachfolgeband von „Hilfe! ich will hier raus“, „Hilfe! Oma kommt zurück!“ Es geht um eine Familie, die Löcher gräbt.
Sie sind im August 2018 von Kappeln nach Schleswig gekommen. Wie haben Sie die Stadtbücherei hier vorgefunden?
Diese Bücherei leistet gute Arbeit. Die Akzeptanz mit den Kooperationspartnern ist recht gut. Die Ausstattung ist – so möchte ich es ausdrücken – überarbeitungswürdig. Wir haben zwar schon Selbstverbucher, was sehr positiv ist, aber vom technischen Standard und von der Ausstattung her kann man ein bisschen aufholen. Es mangelt an zeitgemäßer Präsentation und entsprechendem Mobiliar.
Bitte entwickeln Sie eine Vision. Wie sieht die Schleswiger Stadtbücherei in fünf Jahren aus?
Sie wird sich immer mehr lösen von einem Ort, an dem nur Medien präsentiert und ausgeliehen werden. Es ist jetzt schon der Fall, dass es etliche Menschen gibt, die tagtäglich in die Bücherei kommen, ohne dass sie überhaupt einen Büchereiausweis haben. Sie nutzen trotzdem das Angebot vor Ort. Zeitungen, Zeitschriften, Internet, auch Veranstaltungen. Es wird immer mehr die Aufgabe sein, dass sich das Medienkonzept entwickeln muss, dass die Menschen einen Aha-Effekt erleben, wenn sie hier rein kommen.Vielleicht haben wir in fünf Jahren eine „Offene Bücherei“.
Was ist das?
Das Konzept der offenen Bücherei besagt, dass es reguläre Öffnungszeiten mit Personal vor Ort gibt, die Bücherei aber auch darüber hinaus zur Nutzung offen steht. Die Onleihe haben wir ja schon, so dass man schon heute Medien rund um die Uhr herunterladen kann. Was man nicht sieht, ist die Vernetzung, die wir haben. Medien, die wir nicht vor Ort haben, können wir anderswo besorgen über den Leihverkehr mit ganz Schleswig-Holstein. Wir haben schon Online-Datenbanken und wollen den Munzinger integrieren (Anm. der Red.: Munzinger ist ein seit über 100 Jahren bestehendes Archiv, vor allem mit Biographien) . Wir müssen mehr dahin kommen, was die Menschen brauchen und wollen.
Ist es noch zeitgemäß, dass die Bücherei mittwochs geschlossen ist?
Das ist eine uralte Regelung, die aus den Zeiten stammt, als mittwochs Gremien tagten und Fortbildungen waren. Aber Sie können mich auch fragen, ob es noch zeitgemäß ist, mittags zu schließen. Das ist alles eine Frage der Ressourcen. Je mehr personelle Ressourcen ich habe, desto mehr Möglichkeiten habe ich. Für eine offene Bücherei muss man zum Beispiel eine entsprechende Überwachung haben.
Wie viel Personal hätten Sie gern zusätzlich?
Och! Petra Herzig denkt kurz nach und lacht. Ich nenn’ jetzt mal keine Zahlen, aber schauen Sie doch mal die Bibliotheken Aarhus oder Sonderburg an. Oder die neue Bibliothek Oodi in Helsinki und dort den Personalschlüssel. Ich glaube schon, dass man dieses Personal beschäftigen kann, ohne dass es sich langweilt. Es gibt dann auch Schnittstellen mit außen wie zum Beispiel Leseförderung. Damit man auch die mitnimmt, die es nicht so leicht haben.
Haben die Bibliotheken in Skandinavien mehr Funktionen als in Deutschland?
Definitiv ja. Auch die haben mal mit einem Haufen von Büchern angefangen und dann eine Entwicklung durchlaufen, bis hin zu einem Aufenthaltsort, zu einem „dritten Ort“. Dritter Ort neben dem Zuhause und der Schule oder dem Arbeitsplatz. In Bibliotheken gibt es Workshops, es gibt Kurse und Veranstaltungen. All das gibt es auch schon bei uns: Im letzten Jahr hatten wir hier rund 3000 Besucher, die zu Führungen kamen, zu Vorlesestunden, zu Lesungen oder auch Konzerten. Das wird weiter fortgeführt und ausgebaut. Es gibt natürlich auch andere Rahmenbedingungen wie entsprechende Verankerung in den Verfassungen: Bibliotheken sind Pflichtaufgaben in Ländern wie Finnland, Dänemark oder Schweden.
Mit welchen Institutionen arbeiten Sie zusammen?
Mit der Volkshochschule, dem Stadtmuseum, auch mit Buchläden: die Bücherei als Schnittstelle der örtlichen und überörtlichen Bildungs- und Kulturlandschaft. Daneben Kindergärten, Schulen, alle Einrichtungen, mit denen man gemeinsame Ziele entwickeln kann.
Was ist Ihre Lieblingsbibliothek außerhalb Schleswigs? Im Moment ist es Sonderburg. Ich war sehr sehr beeindruckt von der Bibliothek dort in einem sanierten Altbau direkt am Wasser. Synergien sind enorm wichtig. Es gibt ja Menschen, die fragen ernsthaft, wozu brauchen wir noch Bibliotheken? Die sind heute wichtiger denn je, wenn man schaut, wie viele funktionale Analphabeten es gibt.
In Schleswig wird derzeit über einen Standort für die Bücherei nachgedacht und diskutiert – durchaus kontrovers. Es geht um das Parkhaus-Quartier.
Eines ganz grundsätzlich: Für eine Bibliothek ist es wichtig, dass sie im Zentrum ist, dass sie leicht zugänglich ist.
Das ist sie hier aber auch.
Ja, aber am Zob könnte noch mehr Laufkundschaft sein. Und dann darf man eines nicht vergessen: Die Bibliothek wäre dann gut zu Fuß, mit dem Bus, mit dem Auto oder dem Rad zu erreichen. Man könnte sie für Wartezeiten nutzen. Es kann Synergien geben mit dem Wochenmarkt. Dazu kommt die räumliche Nähe zu anderen Einrichtungen. Alles ist gut, was der Bücherei mehr Besucher bringt, auch die Nähe eines Bürgerbüros der Stadt.